Im Alltag der meisten Menschen spielen im Grunde nur zwei Persönlichkeitsebenen eine Rolle: die Alltagspersönlichkeit im nichtbewussten Zustand und die Alltagspersönlichkeit im bewussten Zustand. Leider muss man sagen, dass der nichtbewusste Zustand deutlich überwiegt. Große Teile des Tages verbringt ein erwachsener Mensch in einer Art Autopilot-Modus: Routinen werden abgespult, Worte fallen wie von selbst, Entscheidungen entstehen aus Gewohnheit, Reiz und Reaktion folgen beinahe mechanisch aufeinander. Dies ist für die Alltagspersönlichkeit bequem, denn der Autopilot spart Energie und erlaubt uns, scheinbar mühelos durch die Anforderungen des Tages zu gehen. Gleichzeitig wirkt er wie ein stiller Wächter, der uns vor aktiven Selbstmodifikationsversuchen schützt – denn für wirkliche Veränderung braucht es Bewusstheit. Ohne sie bleibt jede Absicht, sich zu entwickeln oder Gewohnheiten zu durchbrechen, an der Oberfläche stecken.
Das Unterbewusste stellt eine weitere, noch tiefere Schicht dar. Es ist gewissermaßen der Boden, auf dem die Alltagspersönlichkeit steht, und beeinflusst deren Handlungen und Entscheidungen oft stärker, als uns lieb ist. Im Gegensatz zum nichtbewussten Zustand, der jederzeit in den bewussten Modus wechseln könnte, ist das Unterbewusste der direkten Betrachtung nur äußerst begrenzt zugänglich – allenfalls an der Oberfläche. Es enthält verdrängte Erinnerungen, festgefahrene Reaktionsmuster, Instinkte und Prägungen aus Kindheit, Kultur und sogar früheren Lebensabschnitten. Dennoch ist es nicht völlig abgeschottet: Durch achtsame Erforschung der Alltagspersönlichkeit, etwa durch Beobachtung eigener Reaktionen oder durch innere Arbeit in meditativen und selbstanalytischen Kontexten, lassen sich Inhalte des Unterbewussten indirekt erschließen. Sie werden durch Rückschlüsse erkennbar, treten so an die Oberfläche und können nach und nach in den Bereich des Bewusstseins gehoben werden. Erst dem fortgeschrittenen Suchenden werden schließlich Methoden anvertraut, mit deren Hilfe ein gezieltes Hinabsteigen in das Unterbewusste möglich wird – ein Weg, der jedoch nicht ohne Begleitung und Reife gegangen werden sollte, da die Konfrontation mit tiefen inneren Schichten auch erschütternd sein kann.
Die Betrachtung der Bewusstseinszustände der Alltagspersönlichkeit wird noch komplexer, wenn wir berücksichtigen, dass diese Alltagspersönlichkeit aus drei Teilen besteht: dem grobstofflichen Körper, dem Gefühlskörper und dem Gedankenkörper. Jeder dieser drei Bereiche besitzt wiederum einen unterbewussten, einen nichtbewussten und einen bewussten Anteil. Das bedeutet: Nicht nur unser Denken kann wach oder schläfrig sein, auch die Gefühle und selbst die körperlichen Vorgänge können mehr oder weniger in unser Bewusstsein integriert werden. Wer schon einmal versucht hat, sehr bewusst zu gehen, zu essen oder zu atmen, weiß, wie ungewohnt es sein kann, den Körper aus dem Autopilot-Modus zu lösen. Ebenso können Emotionen im Hintergrund brodeln, ohne dass wir uns ihrer wirklich bewusst sind, bis sie sich plötzlich in einer unbedachten Handlung entladen.
Über der Alltagspersönlichkeit liegt das Höhere Selbst. Dieses wird in vielen Traditionen als der eigentliche Sitz der Individualität beschrieben – jener unsterbliche Teil, der uns als geistige Wesen ausmacht und uns über alle Inkarnationen hinweg trägt. Es ist der Beobachter, der Zeuge, das – wenn auch noch unvollendete – Licht, das alle Erfahrungen macht, auch wenn wir es in den meisten Augenblicken nicht wahrnehmen. Der Prozess des Erwachens auf dieser Ebene, also das fortschreitend bewusstere Erkennen und Leben aus dem Höheren Selbst heraus, ist Inhalt und Ziel aller ernsthaften spirituellen Wege.
Menschen werden bei diesem Aufstieg vor allem durch selbst auferlegte Beschränkungen der Wahrnehmung und Verwechselungen behindert: Wir halten das Vorläufige für das Eigentliche, verwechseln die Maske mit dem Gesicht und übersehen die Tür, die zur nächsten Ebene führt. Von jeder höheren Stufe aus betrachtet erweisen sich die scharfen Grenzen zwischen den Ebenen als Fiktion, als bloße perspektivische Täuschung. Lediglich in Bezug auf das Unterbewusste gibt es eine Art Schutzschleier: eine zeitweise wirksame Begrenzung, die verhindert, dass wir von Inhalten überflutet werden, die wir noch nicht integrieren könnten.
Doch auch das Höhere Selbst ist nicht der letzte Horizont. Von dort aus gesehen gibt es eine weitere Grenze: diejenige, die das Höhere Selbst von Gott, dem Ursprung und der eigentlichen Wesensnatur aller Geschöpfe, trennt. Wir gleichen Gott in unserer Qualität vollkommen, unterscheiden uns aber in der Quantität des Seins – so wie ein Tropfen dem Ozean gleich ist, aber nicht dessen Weite besitzt. Manche Meister beschreiben noch feinstufige Zwischenebenen zwischen dem Höheren Selbst und Gott. Diese seien möglich, doch bleiben sie unserer gegenwärtigen Erfahrung meist verschlossen. Das Aufgehen des Höheren Selbstes in Gott – ohne dabei die gewonnene Individualität zu verlieren – wird in der Mystik als Theose oder Vergöttlichung bezeichnet. Es ist das vorläufige Endziel des Weges, soweit wir es heute denken und erahnen können.
Um all dies zu veranschaulichen, hilft ein einfaches Bild: Denken wir uns das Höhere Selbst in der Gottesgegenwart als den Körper. Es streckt einen Arm aus, um in den Welten der Trennung zu wirken und Erfahrungen zu sammeln. Damit dieser Arm handeln kann, schlüpft er in einen dreifachen Gummihandschuh – die Alltagspersönlichkeit mit ihrem grobstofflichen Körper, Gefühlskörper und Gedankenkörper. Der Handschuh, unfähig, den Arm – geschweige denn seinen Ursprung außerhalb der Trennungswelten – zu sehen, hält sich selbst für das eigentliche Subjekt und ist dabei oft unaufmerksam, also nichtbewusst. Er weiß noch nicht einmal, wie viele Finger er hat: Er nimmt beispielsweise drei wahr, während die anderen beiden die unterbewussten Anteile darstellen, die ihm verborgen bleiben.
Warum ist dieses Wissen wichtig? Weil wir nur so die vielfältigen Vorgänge in uns richtig zuordnen können. Ohne ein solches Orientierungsmodell bleibt vieles verwirrend: Gedanken, die nicht zu uns zu gehören scheinen, plötzliche Stimmungen, körperliche Reaktionen ohne klaren Anlass – all das wirkt chaotisch, solange wir die Ebenen nicht unterscheiden. Sobald wir aber wissen, aus welcher Schicht ein Impuls stammt, kann er erkannt, angenommen und gegebenenfalls verändert werden. Diese Zuordnung ist der erste Schritt, um die innere Verwirrung zu überwinden und die Entwicklung zu einer bewussteren und freieren Existenz zu ermöglichen.